Interiew with Chain for Metal-Inside.de
Selten kommt es vor, dass ein Musikgenie soviel Einblick in die Entstehung eines Progressive – Meisterwerks
gewährt wie es der sehr sympathische CHAIN – Mastermind Henning Pauly tut. Der äußerst kreative Endzwanziger hat
vor ein paar Monaten mit einer erstklassigen Mannschaft aus Bandmitgliedern und Gastmusikern ein Hammerwerk
(„Chain.exe“) vorgelegt, das sich hinter keiner DREAM THEATER, - oder AYREON – Scheibe verstecken muss. Er geht
dabei sehr detailliert und teils humorvoll auf viele Punkte des Entstehungsprozesses des zweiten Albums von
CHAIN und seiner Arbeit ein, so dass dieses Interview nicht nur für Proggies lesenswert ist!
Was war denn die Inspiration für Euer neues Album?
Es war ursprünglich gar nicht geplant, für unser erstes Album „Reconstruct“ einen Plattenvertrag zu bekommen. Das
Album habe ich einfach als Geschenk für die Jungs in Deutschland geschrieben. Auf dem Werk stand nur altes
Material von 1995, das ich auf einem Tape gefunden hatte und diese Sachen habe ich dann produziert. Auf einmal
hatten wir jedoch einen Plattenvertrag und das Album wurde verkauft und da habe ich mir gesagt, dass ich am
Wochenende sowieso nichts zu tun habe und eine zweite Platte machen könne. Soviel zur Inspiration. Dann
allerdings, als ich angefangen hatte, an „Cities“ zu arbeiten, kamen FRAMESHIFT auf den Tisch und das Label
fragte mich, ob ich Bock habe, mit James LaBrie zusammenzuarbeiten. Da habe ich natürlich sofort zugesagt und an
FRAMESHIFT gearbeitet. Da wurde die CHAIN – Platte erst einmal auf Eis gelegt. Ich habe dann Anfang letzten
Jahres wieder angefangen, daran zu arbeiten, aber nach über einem Jahr Progressive und FRAMESHIFT etc. musste ich
mich ein wenig ausruhen und habe dann innerhalb von zwei Wochen meine Platte „13 Days“ gemacht, auf der mehr
straighter Gitarrenrock zu hören ist. Danach konnte ich mich auch wieder an den Prog Rock setzen, weil ich
wieder eine andere Perspektive hatte und habe dann „Cities“ fertig gemacht. Die Inspiration war einfach: „Oh,
wir haben einen Plattenvertrag, machen wir eben noch eine Platte!“.
Mir sind auf „Cities“ besonders Parallelen zu DREAM THEATER und deren letzten drei Alben aufgefallen, besonders
zu „Six Degrees Of Inner Turbulence“. Liege ich damit in etwa richtig?
Also, „Train Of Thoughts“ sehe ich nicht und „Six Degrees…“ auch nicht, die beiden Scheiben mag ich von DREAM
THEATER am Wenigsten. „Six Degrees…“ ist noch in Ordnung, aber „Train Of Thoughts“ ist mir persönlich zu
unmelodiös, gerade bei den Gitarrensoli. Du hast aber vielleicht Recht damit, dass ein Song wie „Eama Hut“, der
schon sehr heavy und brachial ist, vielleicht ein wenig davon inspiriert ist. Nach „Train Of Thoughts“ habe ich
mir vielleicht gedacht, dass die Leute gerne etwas Hartes hören würden und daraus entstand dann „Eama Hut“. Das
war dann aber eher unbewusst, denn wir haben nicht versucht, etwas zu kopieren. Davon abgesehen, haben DREAM
THEATER aber ohne Frage einen großen Einfluss auf jeden, der Progressive Rock macht. Es sind bei uns aber sehr
viel mehr Einflüsse vorhanden. Der Song „Cities“ entstand etwa 1995 als ein zehnminütiges Instrumentalstück,
wovon die ersten vier Minuten für das Album auch so belassen wurden, inklusive dem ersten ruhigen Teil, in dem
Michael Sadler singt. Nach diesen vier Minuten wollte ich aber eine Veränderung in Richtung Neo – Prog haben,
wie etwa das Saxophon – Solo. Da habe ich mich mehr von SPOCK’S BEARD und solchen Bands beeinflussen lassen. Das
gesamte Stück dauert zwar 38 Minuten, aber ich habe es bewusst in sieben Teile aufgespaltet, damit man auch in
die einzelnen Parts „hineinzappen“ kann; es sind keine individuellen Songs. Ich wollte es so haben, dass man
einfach zu dem geilen Akustikteil, den Matt (Cash – Sänger von CHAIN – Anm. d. Verf.) singt und der nach dem
A Capella – Teil kommt, einfach „hinskippen“ kann. Es hängt alles zusammen und ist nur aus praktischen Gründen
getrennt, aber um noch einmal auf Deine Frage zurückzukommen: der Heavy – Teil mit Michael Sadler ist definitiv
von DREAM THEATER beeinflusst. Der Refrain davon geht hingegen wieder auf SAGA zurück und das ist auch einer der
Gründe, warum er auf „Cities“ singt: ich hatte einen Teil, der total nach SAGA klang und habe ihn gebeten, ihn
einfach mal zu singen. Das hat er dann auch gemacht.
Wer sind denn die ganzen Gastmusiker auf dem Album und wie hast Du sie im Einzelnen bekommen?
Bei Michael Sadler war es so, dass das Label eine SAGA – Tribute – Platte machen wollte, als wir den Vertrag für
„Reconstruct“ bekommen hatten. Und mit CHAIN wollten sie gerne eine ihrer neuen Bands darauf vertreten haben
und wir sollten „Hot To Cold“ aufnehmen. Daraufhin habe ich den Song geschrieben, produziert und aufgenommen.
Anfang letzten Jahres ging das Label den Vertrag mit Michael Sadler für sein Soloalbum „Clear“ ein und da habe
ich gefragt, ob er nicht unser „Hot To Cold“ singen könne. Dann haben alle Mitglieder von SAGA den Song gehört
und waren sehr zufrieden damit. Er willigte ein und die Version, die dann entstand, war der Hammer! Ihn im Studio
zu haben und ihn den Song singen zu hören, den er vor 30 Jahren geschrieben hat, war klasse. Ich habe ihm dann
Teile von „Cities“ vorgespielt und ihn gefragt, ob er nicht auch darauf singen wolle und es gefiel ihm so gut,
dass er zwei Monate später zurück kam um seine Teile auf „Cities“ einzusingen. Das war vergleichsweise recht
einfach. Der andere große Name ist Mike Keneally. Ich bin sehr großer Steve Vai – Fan und wenn man Fan von ihm
ist, dann hat man auch von Mike Keneally gehört und ihn auf der Bühne oder auf DVDs gesehen. Was der Mann drauf
hat, ist unbeschreiblich, ein absolutes Genie. Er hat in einer von Frank Zappa’s letzten Bands gespielt und
Frank Zappa meinte über Mike Keneally, er sei der beste Musiker, den er jemals in einer Band gehabt habe. Und
Zappa hat die geilsten Musiker der Welt gehabt! Steve Vai, der für mich genialste Gitarrist der Welt, sagt genau
dasselbe über Mike Keneally. Das Problem ist aber, dass Mike Keneally’s Soloeskapaden so abgedreht sind, dass es
viele Leute nicht raffen. Es ist sehr witzig, humorös und ich habe eine seiner Platten gehört und daraufhin das
Label kontaktiert und gesagt, dass ich ihn gerne auf der neuen CHAIN – Platte hätte. Ich wurde dann vom Label
angerufen und mir wurde gesagt, dass Mike Keneally kommen kann und wann ich Zeit habe… so einfach war es dann
auch. Trotzdem hatte ich schlotternde Knie, denn wenn man für ihn Musik schreibt, dann nicht mal eben ein Solo,
sondern eines, das ihm würdig ist; es muss krumm, abgedreht sein und einfach zu ihm passen. Man muss hören, dass
das Solo von ihm ist, ohne zu wissen, dass er es spielt. So entstand eben „Last Chance To See“ und ich habe mich
daran bucklig gearbeitet. Er hat auch auf James LaBrie’s ersten beiden Alben gespielt und das sind Metal –
Scheiben mit DREAM THEATER – Einschlag und das ist einfach nicht sein Stil. Man darf einer solchen Koryphäe
nichts vorsetzen, dass auch jemand Anderes spielen könnte und gibt ihm einen Gitarrenpart in 7/8, mal in 9/8
oder mal eine 1/4 – Triole und er spielt es so selbstverständlich herunter, als sei es in 4/4. Für die meisten
Menschen ist es zu wirr, aber er kann es einfach! Was die anderen Gastmusiker betrifft: Victoria Trevithick ist
eine Freundin von mir mit einer superben Stimme, Maya Haddi ist die Obersängerin schlechthin und mit ihr werde
ich dieses Jahr ein Album produzieren. Von ihr war bisher jeder begeistert und sie hat auch zwei Songs auf meiner
Soloplatte eingesungen. Bei „Cities“ ist sie in jedem Refrain zu hören und hat ihre Parts in etwa 40 Minuten
eingesungen. Sie singt auch auf „Babysteps“, der Platte, die im Stil von TSO gehalten ist und an der ich im
Moment arbeite. Edward Heppenstall hat die A Capella – Parts mitgesungen und ist ein guter Freund von mir. Jody
Ashworth stammt von TSO, hat dort die Hauptrolle in „Beethoven’s Last Night“ gespielt und arbeitet mit mir
zusammen an „Babysteps“ und ursprünglich hatte er mich wegen Jingles angerufen, an denen ich nebenbei auch noch
arbeite. Wenn „Babysteps“ irgendwann fertig ist, dann haben wir eine Doppel – CD mit richtig symphonischem Metal
und ich hätte diese Rockoper auch schon fertig, wenn die Arbeiten am neuen CHAIN – Album nicht so lange gedauert
hätten. Auf dem Album werden Jody Ashworth in der Hauptrolle, Matt Cash, Maya Haddi, James LaBrie und Michael
Sadler als Sänger zu hören sein, ferner haben wir mit Alan Morse von SPOCK’S BEARD, Ian Crichton und Jim Gilmore
von SAGA, Al Pitrelli von SAVATAGE und Abi von Reininghaus diverse Gastmusiker an Bord, die Beiträge leisten.
Die zweite FRAMESHIFT – Platte ist übrigens auch fast fertig.
Das ist ja eine Liste, wie man sie für gewöhnlich nur von Arjen Lucassen (Macher von AYREON und STAR ONE –
Anm. d. Verf.) kennt.
Ja, es ist definitiv Prog, aber es wird eher klingen wie TSO, also nicht ganz so kompliziert. Ich versuche, es
mehr „straight forward“ zu halten, aber ab und an kann ich mich nicht zurückhalten und es wird doch ein 7/8,
haha. Ich beziehe meine Einflüsse momentan nicht aus dem Prog, obwohl ich meine Arbeit progressiv halte. Ich bin
von vielen Sachen enttäuscht, die zurzeit im Progressive Rock – Bereich laufen. Bei den meisten Sachen, die ich
in der letzten Zeit gehört habe, dachte ich mir: „Leute, macht doch mal was neues!“. Dann höre ich mir so etwas
wie LINKIN’ PARK an und denke mir, dass der Hip Hop darin zwar an den Nerven zerrt, aber die Musik originell
klingt. Arjen Lucassen finde ich auch herausragend und bin ein sehr großer Fan von ihm, aber er hat sich in den
letzten Jahren zu sehr festgefahren und macht kaum etwas Neues. „Into The Electric Castle“ war ein geniales
Album, aber das neue Werk klingt für mich nicht sonderlich originell, es ist immer dasselbe. Den größten Fehler
hat er, meiner Meinung nach, bei den Sängern gemacht. Jeder von ihnen singt nur eine Linie, sie lösen sich
gegenseitig ab und man hört die Unterschiede zu wenig heraus. Zudem singt keiner irgendetwas fertig. Ich hatte
mit meinem „13 Days“ – Album ein ähnliches Projekt am Laufen, indem ich versucht habe, 13 Songs in 13 Tagen
zu schreiben und sie mit elf verschiedenen Sängern aufzunehmen. Da habe ich darauf geachtet, dass jeder Song
anders klingt und die Sänger ihre Fähigkeiten gut zur Geltung bringen können, außerdem ist mir der Spannungsbogen
sehr wichtig. Ich höre selber viele neue Sachen, die im Bereich des Progressive Rock erscheinen, aber ich stelle
leider fest, dass dort im Moment nicht mehr viel los ist, es geht einfach nichts mehr. Da bevorzuge ich zurzeit
Bands wie KORN, MARILYN MANSON oder NINE INCH NAILS, die ich zwar scheiße finde, die aber einen eigenen, neuen
Sound haben.
Obwohl ich sagen muss, dass gerade dieser Sound mittlerweile richtig ausgelutscht ist, weil fast jede neue
Band aus dem Alternative – Bereich und den verwandten Genres versucht, so zu klingen.
Oh Gott, ich habe mir gestern die Neue von SHADOWS FALL gekauft und ich weiß auch gar nicht so genau, warum
eigentlich. Mich hat das Cover angesprochen und ich habe über die Band und ihre neue Platte viel in der Presse
gelesen. Über die Jungs stand so viel geschrieben, so dass ich einfach mal vergleichen wollte, auf was die Leute
heute generell abfahren und außerdem werden wir ja auch bei diesen Magazinen reviewt. Mich hat interessiert, wo
die Rezensenten der Magazine musikalisch stehen. Ich habe die CD also in meinen Player im Auto geschoben… meine
Güte, was für ein Müll! Jeder Song klingt gleich und der Gesang besteht nur aus Gebelle. Ok, 14 Dollar in den
Sand gesetzt, aber dafür weiß ich jetzt, was SHADOWS FALL so machen… es ist gut zu wissen, was sich heute
verkauft und wie die Sachen bei den Leuten ankommen, obwohl ich niemals so etwas schreiben werde. Als Nächstes
werde ich mir mal die neue CD von SLIPKNOT kaufen, die sind auch auf allen Covers abgebildet. Ich bin für
alle Inspirationen offen, genau so wie für etwa Celine Dion. Man kann keine variationsreiche Musik schreiben,
wenn man nicht für alle Einflüsse offen ist und Celine Dion hat sehr schöne Melodien, die man auch gut in den
Metal – Bereich transportieren kann. Schau Dir nur einmal diese ganzen neuen Bands mit Frauen am Mikro an, wie
EVANESCENCE und ihre hervorragende, neue Platte. Dort funktioniert es auch sehr gut, wobei es bei NIGHTWISH dann
schon wieder gekünstelt klingt. Lediglich missfiel mir die Tatsache, dass die Platte und die Songs allesamt zu
kurz ausgefallen sind. Wenn ich meine Platten hingegen anschaue, werden sie immer sehr lang.
Die „Chain.exe“ – CD dauert auch fast genau 80 Minuten, war das so knapp geplant?
Die Plattenfirma meinte, 60 Minuten seien völlig in Ordnung, aber „Cities“ wurde immer länger und länger. „Hot To
Cold“ musste auch noch mit drauf und „Never Leave The Past Behind“ dauerte am Ende auch zehn Minuten. Es sollte
sogar noch mehr werden, aber wir konnten, aufgrund der limitierten Spielzeit, nichts mehr anhängen. Es war nicht
bewusst gemacht. Ich mag es auch nicht, wenn Musik länger gemacht wird, nur, damit sie länger ist. Das ist, auch
im Progressive Rock, bescheuert und nichts muss in die Länge gezogen werden, nur, damit es progressiv ist.
Welche Idee steckt denn hinter dem sehr geschmackvollen Cover – Artwork? Haben diese vier Glühbirnen, von denen
drei brennen und eine aus ist, eine tiefere Bedeutung?
Oh, das ist nicht so schwierig. Das sind die vier Lampen, die in meinem Badezimmer hängen. Davon habe ich ein Bild
gemacht.
Jo, alles klar, haha!!!
Das ist wirklich alles, aber wenn Du etwas Tiefsinniges darin suchst, dann hab’ ich da etwas: die Platte heißt
„Chain.exe“…
Hmmm, eine „exe“ – Datei dient in der Computersprache zum Ausführen eines Programms, eine Startdatei,
von „execute“ abgeleitet?!
Genau, da bewegen wir uns schon mal auf dem digitalen Level. Sieh es mal digital, in der Bitform, nämlich „aus,
aus, an, aus“, also „0010“.
Oh nee…
Haha, wenn man das digital liest, also binär, ist es eine „2“. Es ist eben unsere zweite Platte.
Moment, auf dem Cover sieht man aber „an, an, aus, an“. Das stimmt demnach nicht, sondern ist umgekehrt zu
betrachten.
Ach, Quatsch, das ist doch egal, hahaha!!! Nun aber mal ernsthaft: bei den meisten Covern im Metal – Bereich
muss ich echt kotzen, denn diese „Frau steht mit wehenden Haaren und Engelsflügeln auf einem Berg und unten
sieht man ein Schloss im Sonnenuntergang und oben drüber steht der fette Bandname in mystischer Schrift und unter
dem Ganzen der Albumtitel“ – Motive führen dazu, dass heute im Metal – Bereich fast alles gleich aussieht. Für
unser Cover habe ich einfach etwas herumgespielt und bin am Ende bei den Lampen gelandet. Aber ich habe das
Cover nicht aufgrund des Sinnzusammenhangs gewählt, sondern nur, weil es mit seinem kräftigen Rot schon auf
größere Entfernung prägnant wirkt. Das erste FRAMESHIFT – Album war auch nur hellblau und es stand „Frameshift“
darauf. Auch in Magazinen, in denen 20 Scheiben abgebildet waren, konnte man das Album zwischen all den
dunklen, mystischen Artworks sofort heraus sehen. Solch optische Assoziationen mit den Platten sind mir sehr
wichtig.
Was ist das Textkonzept hinter dem Album? Besonders der Mammutsong „Cities“ liest sich sehr interessant.
Das Stück handelt von einem Typen, der um die Welt reist und dabei bemerkt, wie wichtig es ist, andere Einflüsse
kennen zu lernen. Das passiert bei ihm auf ganz natürlicher Ebene, denn er kommt irgendwo hin und sieht, dass die
Dinge an einem anderen Ort anders laufen als bei ihm zuhause. Stell Dir vor, Du kommst nach Amerika oder ein
Amerikaner kommt nach Deutschland. Dann kommt in bestimmten Situationen immer die Verwunderung: „Wie macht Ihr
denn das? Wir bei uns machen das aber ganz anders!“. Es geht in dem Stück also darum, eigene Eindrücke in anderer
Umgebung kennen zu lernen. Die Leute sollten in ihrem Leben mal etwas Anderes sehen, als nur die drei Orte, die
sie kennen und dafür muss man auch nicht unbedingt in ein anderes Land ziehen, wie ich es getan habe (Henning
lebt und arbeitet seit einigen Jahren in den USA – Anm. d. Verf.). Man kommt dann zurück nach Hause und sieht
seine Heimat mit anderen Augen, was zur Folge hat, dass man für Vieles offener und toleranter wird.
Bei dem Song taucht besonders die Anfangsmelodie, gerade am Ende der einzelnen Parts, immer wieder auf, die mir
persönlich wie die Titelmelodie einer Fernsehserie vorkommt. Am Ende jeder Folge hört man immer wieder dieselbe
Musik als Abschluss.
Keith Emerson hat damals einmal in den Raum gestellt, dass Progressive Rock eine Form von Rock sei, bei der man
ein Riff nimmt, es vorwärts, rückwärts, hoch, runter und seitwärts spielt, es in der Mitte zerschneidet, umklappt
und einfach durch den Fleischwolf schickt. „Cities“ hat im Endeffekt ein paar Hardcore – Themen, also fünf oder
sechs Hauptmelodien, die in veränderter Form immer wiederkehren. Es passt doch auch zum Inhalt; wenn Du um die
Welt fährst, siehst Du immer wieder dieselben Sachen, wie zum Beispiel einen Supermarkt. Du findest überall
auf der Welt identische Artikel, aber der Supermarkt ist am anderen Ende der Welt. Wenn ich etwa Besuch aus
Deutschland bekomme, dann wundern sich alle, wie hier die Milch verpackt wird. Die Amis kennen auf der anderen
Seite die deutsche Variante nicht und ich habe durch meinen Wohnortwechsel beide Seiten kennen gelernt. Solche
Zusammenhänge sind gemeint, das Hauptthema ist vorhanden, sowohl in der Musik, wie auch im Leben, lediglich
die Variation ändert sich. Aber Du fragtest ja nach dem Textkonzept: „She Looks Like You“ ist ein Lovesong,
„Eama Hut“ ist eben „eher ma’ hart“, also liegt der Witz hier im Phonetischen. Das ist in Deutschland aber noch
keinem aufgefallen, haha. Es kommt daher, dass es einer der härteren Songs des Albums ist, also „Eama Hut“. Ich
habe ihn zusammen mit Stephan Kernbach geschrieben und bei der Arbeit kam dieses Wortspiel auf. Ich sag ja, so
tiefsinnig sind wir gar nicht, haha. Die Pointe ist nun aber, dass der Song von einer Hütte handeln muss, weil
ja das Wort „hut“ darin vorkommt. Also handelt er von Eama’s Hütte und Eama ist unser Hauptcharakter. Er versteckt
in der Hütte seine Ängste vor der Familie, der Freundin, etc. und er denkt, er muss seine Geheimnisse bewahren.
Aber dadurch, dass er ständig davon rennt, wird er allmählich verrückt und seine Geheimnisse klopfen von innen
an die Tür und wollen heraus. Im Text sind auch noch weitere Textzeilen wie „Why can’t I be the real me?“ oder
„Who was watching a wasp?“ zu finden, die für sich alleine genommen, keinerlei Sinn ergeben. Nun, „The Real Me“
ist ein Song von THE WHO, von „Quadrophenia“, den Blackie Lawless (Macher von W.A.S.P. – Anm. d. Verf.) auf
dem „The Headless Children“ – Album gecovert hat. Daher stammt der Zusammenhang „Who was watching a wasp?“, in
der wir verdeutlichen, dass wir die Dritten sind, die die Terminologie „The Real Me“ verwenden.
Aber Studien, - und Doktorarbeiten sind zu dem Album nicht geplant?!
In diesem Song sind auch Zitate aus Edgar Allen Poe’s „The Raven“ zu finden und viele andere Sachen, denn Matt
Cash hat es wirklich voll drauf. Wenn wir zusammen an Texten arbeiten, kapiere auch ich nicht immer, was er
gerade meint. Im Song „Cities“ heißt es in einer Zeile: „Blue fields of five waving patiently while I slide
through new scapes of change“. “Blue fields of five” sind dabei die fünf Ozeane, fünf blaue Felder eben. Und
sie „wellen“, also winken Dir geduldig zu, „waving patiently“. Diese Zweideutigkeiten sind echt der Hammer!
„Rolling walls“ statt normal ja „rolling hills“ bedeuten für ihn die Chinesische Mauer. Es heißt ja: „Rolling
walls with millions inside“, was soviel bedeutet, als dass diese Mauer Millionen von Leuten, also Chinesen,
einschließt. Wir wollten eben nicht einfach sagen, dass unsere Hauptfigur jetzt gerade in New York, in
England oder China ist, sondern wir wollten es sprachlich schön verpacken und Matt ist genau der richtige
Mann dafür.
Wollt oder könnt Ihr das gesamte Werk denn live umsetzen?
Ich denke schon, dass wir das könnten, aber es wäre sauviel Arbeit. Zuerst müssten wir einen Schlagzeuger
finden, weil Eddie (Marvin – Drummer von CHAIN – Anm. d. Verf.) einfach nicht live spielt. Er ist ein
hervorragender Drummer, bekommt aber auf der Bühne nichts zustande. Er hat, was das betrifft, eine Blockade,
aber ich würde dafür einen Ersatz finden, das wäre das kleinste Problem. Der Bassist und der Keyboarder
müssten ihre Parts erst einmal komplett lernen, da ich auf dem Album beides gespielt habe. Die Band funktioniert
so, dass ich die Stücke schreibe, das Schlagzeug programmiere, den Bass und die Keyboards einspiele und
danach geht der Kram zu Stephan (Kernbach – Keyboarder von CHAIN - Anm. d. Verf.) und Christian (Becker – Bassist
von CHAIN - Anm. d. Verf.). Die beiden überarbeiten dann die Sachen und machen Verbesserungsvorschläge, insofern
sind sie Bandmitglieder. Rein theoretisch wäre es zwar kein Problem, das Stück auf die Bühne zu bringen, aber
selbst für nur ein Konzert müssten wir einen Monat lang proben und es wäre sehr viel Arbeit und auch von den
Kosten her kaum zu tragen.
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